In kaum einem Unternehmen gibt es ausreichend Personal für eine Kultur des Miteinander, die es einem erlaubt, ohne Bedenken in Krankenstand zu gehen.
In kaum einem Unternehmen gibt es ausreichend Personal für eine Kultur des Miteinander, die es einem erlaubt, ohne Bedenken in Krankenstand zu gehen. © JackF - stock.adobe.com, AK Stmk
13.2.2023

Neun von zehn gehen krank arbeiten!

Krank in die Arbeit gegangen sind fast alle von uns schon einmal. Der Hauptgrund für diesen Präsentismus ist die dünne Personaldecke in den Unternehmen, der Druck von oben und die Erwartung der Kolleginnen und Kollegen, die man nicht hängen lassen möchte. Letztlich aber schadet man sich selbst und gefährdet andere. Das spürt auch die Generation Z: Die jungen Leute von heute müssen sich auf einem hart umkämpften Markt darstellen.

Der Druck von oben ist hoch, berichtet ein Kollege: "Das wichtigste Anliegen der Chefin war nicht, wie es mir nach dem Unfall geht, als ich mich telefonisch krank meldete, sondern wie schnell ich wieder zur Arbeit erscheine." In kaum einem Unternehmen gibt es ausreichend Personal für eine Kultur des Miteinander, die es einem erlaubt, ohne Bedenken in Krankenstand zu gehen, erzählt eine Steirerin: "Alleine, wie Kollegen sich beim Krankenstand schlechtreden, ist ja Wahnsinn! Viele lassen sich dadurch beeinflussen und trauen sich nicht, daheim zu bleiben."

Fast alle sind betroffen

Neun von zehn Befragten sind schon einmal krank in die Arbeit gegangen, ergab eine große Online-Befragung der AK Wien. Einen ähnlich hohen Wert für den Präsentismus zeigten schon ältere Untersuchungen. AK-Expertin Margit Schuß:  "Wer trotz Krankheit arbeitet, gefährdet die eigene Gesundheit, braucht länger zum Auskurieren, ist weniger leistungsfähig, macht mehr Fehler und steckt vielleicht noch andere im Unternehmen an."

Angst vor Jobverlust

Immerhin ein Viertel der Beschäftigten, die schon einmal krank arbeiten waren, taten das aus Angst vor einem Jobverlust. Diese Befürchtung kommt nicht von ungefähr: Zehn Prozent der Befragten gaben an, sie wurden während des Krankenstandes zu einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses gedrängt. Auffällig ist das Hotel- und Gastgewerbe, wo das mehr als 20 Prozent der Befragten passierte.

„WENN BESCHÄFTIGTE KRANK ZUR ARBEIT GEHEN, SCHADET ES IHNEN, ABER AUCH DEM UNTERNEHMEN. ES SOLLTE SELBSTVERSTÄNDLICH SEIN, BEI KRANKHEIT ZU HAUSE ZU BLEIBEN – UND DAS OHNE SCHLECHTES GEWISSEN.“

Josef Pesserl, AK-Präsident

Hart umkämpfter Markt

Soziologe und Jugendforscher Bernhard Heinzelmaier sieht, dass sich der Druck auch auf die Generation Z, das sind die ab 1995 Geborenen, enorm erhöht hat. Er sagt: "Von den Jugendlichen erwartet man beständig große Leistungen, mehr als noch vor 20 oder 30 Jahren." Wir leben heute in einer neoliberalen Gesellschaft, welche die Werte Nützlichkeit und Verwertbarkeit ganz nach oben stellt – so auch bei Bildung und Arbeit. Die junge Generation befinde sich auf einem umkämpften Markt und müsse sich selbst vermarkten und darstellen, um gut überleben zu können, sagt der Autor und Jugendforscher Heinzelmaier.

Corona und Homeoffice

Corona hat zwar für das Thema Ansteckung und Gefährdung anderer Menschen sensibilisiert, brachte aber mit der Verbreitung von Homeoffice eine Verstärkung von Präsentismus, sagt Schuß: "Wenn die Ansteckungsgefahr wegfällt, ist die Schwelle noch kleiner geworden, doch zu arbeiten."

AK-Beratung zu Präsentismus

Die Arbeiterkammer berät und unterstützt nicht nur bei individuellen arbeitsrechtlichen Fragen zu Krankheit, Lohnfortzahlung und Krankengeld. Die Abteilung Arbeitnehmerschutz hat für Betriebsräte und betriebliche Gesundheitsmanager eine eigene Beratungsstelle zum Thema Präsentismus eingerichtet. Dazu werden Workshops und Vorträge in den Unternehmen zum Thema "Krank zur Arbeit – Warum?" angeboten. AK-Expertin Schuß: "Eine Unternehmenskultur der Achtsamkeit braucht präventive Maßnahmen wie eine klare Vertretungsregelung, ein vorbildhaftes Führungsverhalten und gesundheitsfördernde Arbeitsbedingungen."

Präsentismus

Als Präsentismus wird das Verhalten von Arbeitnehmern bezeichnet, trotz Krankheit am Arbeitsplatz zu erscheinen.
Bezahlter Krankenstand: Wer krank wird, muss vom Unternehmen zumindest sechs Wochen lang weiter das Entgelt bekommen. Auch regelmäßige Überstunden oder Zulagen zählen zum Entgelt. Bei längeren Krankenständen bezahlt die Gesundheitskasse ein (geringeres) Krankengeld.
Eine Kündigung im Krankenstand ist rechtlich möglich. Dauert der Krankenstand länger als die Kündigungsfrist, muss das Unternehmen das Entgelt bis zur Genesung weiterzahlen.
Krankenstand melden: Man ist verpflichtet, seiner Firma den Krankenstand mitzuteilen, am besten zu Arbeitsbeginn oder noch davor. Anschließend sollte man ärztliche Hilfe suchen und sich krankschreiben lassen. Auf Verlangen des Unternehmens muss man eine ärztliche Krankenstandsbestätigung vorlegen.

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