Aktuelles aus dem Arbeitsrecht
Hunderte Betriebsrät:innen nahmen am AK-Vortrag teil, in dem aktuelle höchstgerichtliche Entscheidungen zu Arbeitsrechtsfragen im Mittelpunkt standen.
Warum wurde das Arbeitsverfassungsgesetz vor 50 Jahren verabschiedet?
Univ.-Prof. Dr. Rudolf Mosler: Es waren die Forderungen von Gewerkschaft und Arbeiterkammer, dass man für Kollektivvertrag und Betriebsverfassung ein modernes Gesetz braucht. Vor allem die Mitbestimmung im betrieblichen Bereich sollte ausgebaut werden. Es wurde über viele Jahre verhandelt. In einer großen Kommission aus Sozialpartnern und Arbeitsrechtlern hat man mehrere Entwürfe zu dem Gesetz gemacht. Das hat schließlich zum Beschluss im Nationalrat Ende 1973 geführt. Am 1. Juli 1974 ist das Gesetz in Kraft getreten.
Welche Auswirkungen hat das Arbeitsverfassungsgesetz auf das tägliche Arbeitsleben?
Mosler: Da muss man die betriebliche und die überbetriebliche Ebene unterscheiden. Auf der überbetrieblichen Ebene schließen Gewerkschaften und Arbeitgebervereinigungen Kollektivverträge. Das bedeutet, dass es für fast alle Arbeitnehmer in Österreich einen Mindestlohn gibt, der branchenbezogen ist: Die Bauarbeiter haben einen anderen Mindestlohn als die Metallarbeiter oder die Angestellten in Dienstleistungsunternehmen. Also ein differenziertes Mindestlohnmodell, wobei die Kollektivverträge auch noch Regelungen zu Arbeitszeit, Gleichbehandlung, Entgeltfortzahlung usw. enthalten. Das wirkt sich auf die Arbeitnehmer und Arbeitgeber unmittelbar in der täglichen betrieblichen Praxis aus. Im betrieblichen Bereich kommt dazu, dass die Betriebsräte noch Betriebsvereinbarungen verhandeln können. Der Kollektivvertrag gilt in der Regel für die Branche beziehungsweise fürs Unternehmen und die Betriebsvereinbarung für den konkreten Betrieb, wo man betriebsspezifische Angelegenheiten, wie Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit, vereinbaren kann.
Hält das 50 Jahre alte Arbeitsverfassungsgesetz mit der Entwicklung unserer Zeit Schritt? Was braucht es, um es zukunftsfit zu gestalten?
Mosler: Ich glaube, dass das ArbVG durchaus ein modernes und gut gemachtes Gesetz ist, das im Gegensatz zu vielen anderen auch verständlich ist. Im Laufe der Zeit hat es 62 – meist kleinere – Novellen gegeben. Natürlich ist es richtig, dass nach 50 Jahren ein gewisser Änderungsbedarf gegeben ist. Die Auswirkungen der Digitalisierung in der Arbeitswelt sollten im ArbVG stärker abgebildet werden. Und bei der einen oder anderen Frage der betrieblichen Mitbestimmung müsste man wahrscheinlich auch nachbessern. Dabei sind kleine Schritte oft vernünftiger als große Reformwürfe. Da vertraue ich auf die Sozialpartnerschaft, dass die erforderlichen Reformen vereinbart und dann beschlossen werden. Die Grundsubstanz des ArbVG sollte aber bestehen bleiben.
Ist der Betriebsrat mehr als nur ein "Klassensprecher"?
Mosler: Der Betriebsrat ist kein Klassensprecher. Letztendlich reden wir von Betrieben, die zum Teil hunderte oder tausende Beschäftigte haben und in denen sehr unterschiedliche Dinge passieren. Das kann ein Betrieb sein, in dem produziert oder verkauft wird, wo alle möglichen Dienstleistungen erfolgen oder Verwaltungsaufgaben erledigt werden. Durch den Abschluss von Betriebsvereinbarungen und eine Vielzahl von Mitbestimmungsrechten kann der Betriebsrat mitgestalten. Dabei muss er sehr heterogene Interessen vertreten. Er hat einerseits auf die Interessen der einzelnen Arbeitnehmer, andererseits aber auch auf die der Gesamtbelegschaft Bedacht zu nehmen – und das muss nicht immer übereinstimmen. Es kann gerade in Krisensituationen durchaus sein, dass ein Betriebsrat abwägen muss, ob er Kündigungen bekämpft oder einigen Kündigungen sogar zustimmt, um Verschlechterungen für die Gesamtbelegschaft zu verhindern. Die Betriebsratstätigkeit ist ein verantwortungsvoller Dienst an der Gemeinschaft.
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