Uni-Forscher Christoph Hofstätter, Stadtrat Kurt Hohensinner, Sara Intering (Uni Graz), AK-Präsident Josef Pesserl, Thomas Leitner (Uni Graz) und WKO-Präsident Josef Herk (v. l.).
Uni-Forscher Christoph Hofstätter, Stadtrat Kurt Hohensinner, Sara Intering (Uni Graz), AK-Präsident Josef Pesserl, Thomas Leitner (Uni Graz) und WKO-Präsident Josef Herk (v. l.). © Stad Graz/Fischer, AK Stmk

Neue Modelle sollen Bildungschancen für jedes Kind erhöhen

Seit Jahren gibt es in Graz Diskussionen zur Ungleichverteilung von Schülerinnen und Schülern mit niedrigem sozialen bzw. Bildungshintergrund auf die verschiedenen Volksschulen im Stadtgebiet. Diese Ungleichverteilung ist dabei kein Grazer Phänomen, sondern Kommunen weltweit müssen sich dieser Herausforderung stellen. Im Auftrag von Stadt Graz, Arbeiterkammer Steiermark und Wirtschaftskammer Steiermark hat sich ein Forschungsteam der Universität Graz weltweit auf die Suche nach Good-Practice-Beispielen gemacht.

Der Hintergrund der Studie

In vielen Städten Europas, ja sogar weltweit, besteht eine ähnliche Herausforderung: Schülerinnen und Schüler mit niedrigem sozialen Hintergrund, niedrigem Bildungshintergrund und einer anderen Muttersprache als jener der Mehrheitsgesellschaft sind an gewissen Schulen überdurchschnittlich hoch vertreten und an anderen kaum vertreten. Auch an den Grazer Volksschulen besteht eine derartige Ungleichverteilung. Um der Frage, was man angesichts dessen in Graz tun kann, nachzugehen, wurde das Forschungsprojekt "Chance für jedes Kind", mit der finanziellen Unterstützung der Stadt Graz – Büro Stadtrat Kurt Hohensinner –,  der Arbeiterkammer Steiermark (Abteilung Bildung, Jugend und Betriebssport) und der Wirtschaftskammer Steiermark (Institut für Wirtschafts- und Standortentwicklung), ins Leben gerufen. Ausgehend von bestehender Forschung wurde weltweit nach Good-Practice-Beispielen gesucht. Es wurden fünf Beispiele identifiziert und im Rahmen kurzer Forschungsaufenthalte vor Ort – bei Schulbehörden, Schulen, Wohnungsbehörden und NGOs – Daten gesammelt und Feldforschung durchgeführt. Schließlich wurden auf Grundlage dieser Erfahrungen drei Hauptempfehlungen erarbeitet, die einen besseren Umgang mit der sprachlichen und sozioökonomischen Vielfalt im Grazer Volksschulsystem gewährleisten sollen. Sie werden im Folgenden kurz dargestellt.

1. Gründung von "Magnet Schools" nach dem Vorbild Stamford (USA)

Seit über 50 Jahren werden sogenannte "Magnet Schools" in den USA eingesetzt um Schulsysteme besser zu durchmischen. Sehr erfolgreich ist dabei die Stadt Stamford (rund 130.000 Einwohner), im Norden New Yorks. Magnet Schools sind Schulen, die eine bestimmte Schwerpunktsetzung und/oder ein besonderes pädagogisches Konzept anbieten und daher besonders attraktiv sind. Sie werden in den ärmeren Gegenden einer Stadt entweder neu gebaut, oder es werden dort bereits vorhandene Schulen in Magnet Schools umgewandelt. Ausgesprochen wichtig ist auch, dass für sie spezielle Aufnahmeregeln gelten: Ziel ist es, dass an einer Magnet School bildungsbenachteiligte und nicht bildungsbenachteiligte Schülerinnen und Schüler, in ausgewogenem Verhältnis, gemeinsam die Schule besuchen. Um dies zu erreichen sollen Kinder, die in der Nachbarschaft der Schule wohnen, einen Teil der Schulplätze erhalten. Auf alle übrigen Schulplätze können sich alle Kinder, die in der Stadt wohnen, bewerben. Das Beispiel Stamford zeigt, dass aufgrund der Attraktivität dieser Schulen die Zahl der Bewerbungen die Zahl der Schulplätze an diesen Schulen weit übersteigt. So führen Magnet Schools zu einer besseren – auf Freiwilligkeit beruhenden – Durchmischung und zu einer Erweiterung des Bildungsangebots einer Stadt.

2. Förderung von Elterninitiativen nach dem Vorbild Amsterdam

Das Konzept der Elterninitiativen wird in den Niederlanden, vor allem in Amsterdam, erfolgreich eingesetzt um einzelne Schulen besser zu durchmischen. Dabei wird an der Herausforderung angesetzt, dass in durchmischten Stadtteilen Eltern mit hohem Bildungshintergrund teils ihre Kinder nicht in die nächstgelegene Schule schicken wollen, beispielsweise, weil die Schule einen schlechten Ruf hat. Diese Schule wird dann vor allem von bildungsbenachteiligten Kindern besucht, obwohl die Wohnbevölkerung in der Nachbarschaft der Schule besser durchmischt ist. Im Rahmen einer Elterninitiative schließen sich nun Eltern mit hohem Bildungshintergrund zusammen, um ihre Kinder gemeinsam in die nächstgelegene Schule zu schicken und diese Schule so besser zu durchmischen. Auch wenn das tendenziell eher deutschsprachige Eltern ohne Migrationshintergrund sein werden, stehen Elterninitiativen, grundsätzlich allen Menschen mit hohem Bildungshintergrund, insbesondere unabhängig von ihrer Muttersprache und ihrem Migrationsstatus, offen. Für eine Elterninitiative braucht es eine Gruppe engagierter Eltern, das entsprechende Wissen, Öffentlichkeitsarbeit und ein Schulteam, das hinter der Initiative steht. Auch kann es notwendig sein gewisse Zusatzangebote an der Schule einzurichten (z. B. Begabtenförderung) bzw. das Profil der Schule zu schärfen. Indem die Stadt derartige Initiativen fördert und betreut, wird für Eltern mit hohem Bildungshintergrund, die ihre Kinder gerne in durchmischte Schulklassen schicken, die Möglichkeit geschaffen, dies zu tun. Dadurch können Schulen – wieder auf Basis von Freiwilligkeit – besser durchmischt werden.

3. Implementierung einer Wohnpolitik nach dem Vorbild Montgomery County (USA)

Hauptursache für die Ungleichverteilung von bildungsbenachteiligten Kindern in der Schule ist in der Regel eine entsprechende Ungleichverteilung der Wohnbevölkerung. Denn der Schulbesuch hängt stark mit dem Wohnort der Kinder zusammen. Ein Hebel, um die Schulen besser zu durchmischen, liegt darin, die Wohnbevölkerung besser zu durchmischen. In Montgomery County, bei Washington D.C., wurde zu diesem Zweck eine besondere Art von Wohnpolitik, das sogenannte "MPDU-Programm", eingeführt. "MPDU" steht dabei für "Moderately Priced Dwelling Units" bzw. für preisgünstige Wohneinheiten. Das Programm sieht im Wesentlichen Folgendes vor: Bei jedem Bauprojekt das zumindest 20 Wohneinheiten umfasst, sind zumindest 12,5 Prozent der Wohneinheiten als preisgünstige Wohneinheiten (MPDUs) vorzusehen. Sie sollen zu solchen Preisen verkauft oder vermietet werden, dass sie für mittlere und untere Einkommensschichten zugänglich sind. Im Gegenzug dafür, dass Bauträger diesen Anteil an Wohneinheiten nicht zu Marktpreisen vermieten oder verkaufen dürfen, erhalten sie andere Vorteile, wie einen Bonus auf die Baudichte. Damit ist gemeint, dass Bauträger mehr Wohneinheiten bauen dürfen. Werden beispielsweise 15 Prozent  der Wohneinheiten eines Bauprojekts als preisgünstige Wohneinheiten (MPDUs) gebaut, dann dürfen im Rahmen eines Bauprojekts, das ursprünglich für 100 Wohneinheiten zugelassen war, nun aufgrund des Baudichte-Bonus 122 Wohneinheiten gebaut werden. Schließlich entsteht dieser preisgünstige Wohnraum überall dort, wo in den nächsten Jahren gebaut wird und führt so zu einer besseren Durchmischung der Wohnbevölkerung und letztlich auch der Schulen.

Das sagt das Uni-Forschungsteam zur Studie

Das Resümee des Forschungsteams zur Studie: "Die Schulen besser zu integrieren stellt eine der größten Herausforderungen dar, die in Graz in den nächsten Jahrzehnten zu meistern sein wird. Dazu braucht es einen langanhaltenden, starken politischen Willen und kontinuierliche Arbeit sowohl im Schulbereich, als auch im Wohnbereich. Dies braucht es auch, weil – so zeigen die Erfahrungen andernorts – sich ohne aktives Handeln derartige Ungleichverteilungen im Laufe der Zeit nur weiter verschärfen. Durch Magnet Schools, Elterninitiativen und ein MPDU-Programm kann die Durchmischung der Grazer Volksschulen Schritt für Schritt – ein Schulstandort nach dem anderen – gefördert werden. Neben dem Vorteil einer schrittweisen Veränderung, haben diese Maßnahmen auch den Vorteil, dass sie Durchmischung fördern ohne jemanden dazu zu verpflichten eine bestimmte Schule zu besuchen, die er oder sie möglicherweise nicht besuchen will. Denn die Durchmischung beruht auf Freiwilligkeit. Darüber hinaus kann so das Bildungsangebot in unserer Stadt um attraktive Angebote erweitert werden. Gleichzeitig stellt diese Herausforderung eine enorme Möglichkeit für verantwortungsvolle Politik dar, das Leben vieler Menschen in Graz zu verbessern und den Wirtschaftsstandort Graz zu stärken. Die Schulen besser zu integrieren, bedeutet langfristig Bildungschancen, Beschäftigung, Wohlstand und sozialen Zusammenhalt in Graz zu fördern und ist daher nicht nur im Interesse der betroffenen Kinder, Eltern, Lehrer und Lehrerinnen, sondern im Interesse der gesamten Gesellschaft."

Das sagen AK, WKO und Stadt Graz zur Studie

Kurt Hohensinner, Bildungs-, Integrations- und Sozialstadtrat: "Die Heterogenität der Schülerinnen und Schüler ist für viele Städte – und damit auch Graz – eine Herausforderung. Mehr als 50 Prozent Kinder mit nicht-deutscher Muttersprache, unterschiedlicher sozioökonomischen Hintergrunds und verschiedensten Religionen prägen das Bild des Schulalltags. Die Stadt Graz arbeitet seit Jahren aktiv an Maßnahmen dazu, etwa die Online-Vormerkung zur besseren Steuerung im Rahmen der Schuleinschreibung oder die starken Investitionen in Schulraum und Digitalisierung. Darüber hinaus stellen wir den Schulen zahlreichen Unterstützungssysteme (Schulsozialarbeit, Lesepaten) und eine Vielzahl von Förderungen (Sprachförderung, Talente, Sport) zur Verfügung. Trotzdem wollen wir uns nach wie vor laufend weiterentwickeln. Als Mit-Auftraggeber dieser spannenden Studie war es uns wichtig, über den Tellerrand der steirischen und österreichischen Diskussion hinauszublicken. Insbesondere die Vorschläge Magnet Schools und Elterninitiativen haben ein hohes Potential, Schritt für Schritt eine Verbesserung der Durchmischung der Schullandschaft zu erreichen. Vor allem in puncto Schwerpunktschulen haben wir in den vergangenen Jahren schon einige Schwerpunkte gesetzt und wollen diese nun auch weiter intensivieren. Persönlich freut es mich, dass im Rahmen dieser Arbeit Maßnahmen vorgeschlagen werden, die sehr stark auf Eigeninitiative und Freiwilligkeit setzen, ohne Zwang zu erzeugen."

Josef Pesserl, Präsident der Arbeiterkammer Steiermark: "Aus Sicht der Arbeiterkammer ist es klar, dass es eine bedarfsorientierte Schulfinanzierung geben muss, wie sie die AK mit ihrem Chancen-Index-Modell schon seit langem anregt: Schulen, die von vielen Schülerinnen und Schülern mit hohem Förderbedarf besucht werden, erhalten mehr Geld und können damit zusätzliche Lernhilfe, mehr pädagogisches Personal und andere Unterstützung anbieten. Wie richtig die AK mit dieser Forderung liegt, wird von der jetzt vorliegenden Studie der Karl-Franzens-Universität untermauert: Um in Städten wie Graz allen Kindern die gleichen Bildungschancen zu geben, schlägt die Studie unter anderem die Gründung von 'Magnet Schools' nach US-Vorbild vor. Diese Schulen sollen z. B. in Stadtteilen mit hohem Migrationsanteil entstehen und besondere Schwerpunkte anbieten, sodass sie auch für Eltern mit hohem Sozial- und Bildungshintergrund interessant sind. Damit würde eine stärkere Durchmischung der Schülerinnen und Schüler erzielt und eine 'Ghettoisierung' vermieden. Die AK fordert zudem, den Ausbau der Ganztagsschulen zu beschleunigen und die Mittel dafür aufzustocken. Die AK-Nachhilfestudie zeigt eindeutig, dass nur die echte Ganztagsschule die Eltern vom Lernen mit den Kindern und von teurer Nachhilfe entlastet. Und der Besuch einer Ganztagsschule muss im Unterschied zu jetzt beitragsfrei sein."

Josef Herk, Präsident der Wirtschaftskammer Steiermark: "Unser wertvollster Rohstoff am Standort sind die Menschen und ihr Know-how. Gemeinsam mit unseren innovativen Unternehmen gelingt es auf diese Weise, dass die steirische Wirtschaft in vielen Bereichen international eine Vorreiterrolle genießt. Um dies auch für die Zukunft nach Corona abzusichern - gerade in Hinblick auf die schwierige demographische Entwicklung - ist es wichtig, dass wir kein Kind durch den Bildungsrost fallen lassen. Gerade im urbanen Bereich merken wir da derzeit aber verstärkte Herausforderungen, warum wir auch diese Studie unterstützt haben. Speziell in Sachen Integration gilt es neue Wege zu beschreiten – Schul- und Werkbank sind dafür wesentliche Faktoren." 

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