WKP-Präsident Josef Herk (l.) und AK-Präsident Josef Pesserl mit der BBO-Studie
WKP-Präsident Josef Herk (l.) und AK-Präsident Josef Pesserl mit der BBO-Studie © Buchsteiner, AK Stmk
15.2.2024

Berufsorientierung soll Schule machen

Die demografische Entwicklung hat deutliche Auswirkungen auf den heimischen Arbeitsmarkt. Bis 2040 werden in der Steiermark rund 50.000 Personen weniger im erwerbsfähigen Alter zur Verfügung stehen als heute. Die Folgen davon spüren die Betriebe schon heute. Trotz herausfordernder Konjunktur herrscht in vielen Bereichen – von der gewerblichen Wirtschaft über die Bildung bis hin zum Gesundheitswesen – ein zunehmender Arbeits- und Fachkräftemangel. "Aus diesem Grund dürfen wir keine Jugendlichen mehr verlieren", sind sich die Präsidenten der Wirtschafts- und Arbeiterkammer, Josef Herk und Josef Pesserl mit Blick auf die nach wie vor hohe Zahl an Schulabbrechern und Bildungswechslern einig. Gemeinsam hat man eine Studie dazu beauftragt, deren Kernaussage ist: Bildungs- und Berufsorientierung muss weiter ausgebaut werden, langfristig wird ein eigenes Schulfach angestrebt.

Trotz Konjunkturflaute weisen derzeit unzählige Berufe einen durchschnittlichen Stellenandrang von unter 1,5 auf und gelten somit als Mangelberuf. Ein Hauptgrund dafür sind die Folgen des demographischen Wandels, durch diesen hat sich die Zahl der Jugendlichen in der Steiermark seit den 70ern halbiert. Um unseren Wohlstand zu erhalten ist es daher umso wichtiger, dass kein Talent mehr verloren geht! Aus diesem Grund wurden in der Steiermark in den vergangenen Jahren etliche Initiativen im Bildungs- und Berufsorientierungsbereich gestartet, die gute Arbeit leisten. Trotzdem bestehen weiterhin Informationsdefizite, wie neueste Zahlen der Statistik Austria verdeutlichen: Nur etwas mehr als 70 Prozent der Schülerinnen und Schüler, die eine sechste Klasse in der AHS-Oberstufe besuchen, schließen selbige erfolgreich ab. In den BHS liegt dieser Anteil noch niedriger, hier absolvieren gerade einmal 60 Prozent der Jugendlichen in der sechsten Schulstufe die Reifeprüfung. Und auch an den öffentlichen Universitäten gibt der Anteil an abgebrochenen Bachelorstudien inner-halb der ersten drei Semester zu denken: Gut ein Drittel der von inländischen Erstimmatrikulierten belegten Bachelor-Studien werden nach drei Semestern nicht mehr betrieben. Das liegt nicht zuletzt an erheblichen Informationsdefiziten, wie eine Umfrage des IHS unter 8.000 Maturierenden zuletzt gezeigt hat: Nur 48 Prozent der steirischen Maturierenden fühlen sich demnach (sehr) gut über Studienmöglichkeiten informiert, in Bezug auf die Möglichkeiten einer Lehre (26%), eines Kollegs (14%) oder sonstiger Ausbildungsmöglichkeiten (21%) fällt dieser Anteil noch weitaus niedriger aus.

Vor diesem Hintergrund haben die AK und WKO Steiermark gemeinsam mit dem Land Steiermark das Marktforschungsinstitut x-sample, unter der Leitung von Thomas Lederer-Hutsteiner beauftragt, Haltungen und Zugänge zur Bildungs- und Berufsorientierung (BBO) an steirischen Bildungseinrichtungen zu erheben. Dabei galt es Optimierungspotenziale aufzuzeigen und entsprechende Unterstützungsmaßnahmen – für Kinder und Jugendliche, aber insbesondere auch für die Zielgruppe der Lehrpersonen sowie Pädagoginnen und Pädagogen – abzuleiten. Als Zielgruppe der Studie wurden steirische Kindergärten, Volksschulen, Mittelschulen und AHS-Unterstufen definiert. Aus jedem der vier genannten Bildungssettings wurden dabei jeweils vier Einrichtungen im Rahmen einer Fallstudie eingehend untersucht, darüber hinaus Interviews mit Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Praxis der Bildungs- und Berufsorientierung durchgeführt. Die zentralen Ergebnisse dieser qualitativen Studie können wie folgt zusammengefasst werden:

1. Bildungs- und Berufsorientierung muss als gesellschaftlich relevantes Thema in der öffentlichen Wahrnehmung positioniert werden

Gerade in turbulenten Zeiten, die von gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Veränderungen gekennzeichnet sind, ist es notwendig, Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen jene Lebenskompetenzen zu vermitteln, die für eine eigenverantwortliche Gestaltung ihrer Bildungs- und Berufslaufbahn und damit für die Entfaltung ihrer Talente bzw. Potenziale notwendig sind. Damit der Bildungs- und Berufsorientierungsprozess gelingen kann, braucht es im Sinne unserer Kinder ein Miteinander von Erziehungsberechtigten, Bildungseinrichtungen, der öffentlichen Hand und externer Partnerorganisationen. Im öffentlichen Diskurs sollte daher der Stellenwert der Bildungs- und Berufsorientierung erhöht und diese als gesellschaftlich relevantes Thema positioniert werden.

2. Bildungs- und Berufsorientierung muss als lebenslanger Prozess verstanden werden bei dem möglichst frühzeitig angesetzt werden muss

Aufgrund der Bedeutung des Erwerbs fundierter Bildungs- und Berufsorientierungskompetenzen für den weiteren Lebensweg, sollte die Bildungs- und Berufsorientierung möglichst frühzeitig beginnen. Bereits im Kindergartenalter kann durch spielerische Maßnahmen das Interesse an Themen geweckt und individuelle Stärken gefördert werden. Auch das Kennen-lernen von Berufen ist spätestens ab dem Volksschulalter möglich. Je früher man in der Bildungs- und Berufsorientierung ansetzt und allfälligen Stereotypen bzw. Klischees begegnet, umso solider ist die Basis, auf der in späteren (Schul-)Jahren im Rahmen von konkreten BBO-Maßnahmen aufgebaut werden kann. Die steirische BBO-Landschaft ist vielfältig, den-noch sehen die befragten Experten einen Bedarf an maßgeschneiderten BBO-Angeboten, ins-besondere für Kindergärten, Volksschulen und die Allgemeinbildenden höheren Schulen.

3. Ferienzeit sollte als Entdeckungszeit sinnvoll genutzt werden

Die Ferienzeit – vor allem in den Sommermonaten – sollte verstärkt für die Entdeckung und Förderung der individuellen Fähigkeiten herangezogen werden. Mit Unterstützung externer Partnerinnen und Partner müssen Kinder und Jugendliche die Möglichkeit erhalten, in unter-schiedliche Themenbereiche hineinzuschnuppern – unabhängig vom jeweiligen sozioökonomischen Status der Erziehungsberechtigten. Durch sinnvolle Ferienaktivitäten kann nicht nur ein positiver Beitrag zur Stärkung der Bildungs- und Berufsorientierungskompetenz unserer Kinder und Jugendlichen geleistet werden, sondern diese tragen darüber hinaus zu einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf bei.

4. Rahmenbedingungen für die Bildungs- und Berufsorientierung müssen in der Steiermark weiter optimiert werden

In allen vier untersuchten Bildungseinrichtungen – Kindergärten, Volksschulen, Mittelschulen und AHS – ist man in der Durchführung von Bildungs- und Berufsorientierungsmaßnahmen von externen Unterstützungsangeboten abhängig. Vor allem die Vor- und Nachbereitung von BBO-Maßnahmen ist zeit- sowie personalintensiv und kann in der notwendigen Qualität nicht durch eine einzelne Lehr- bzw. pädagogische Fachkraft abgedeckt werden. In der Steiermark gilt es daher – im Speziellen in Blickrichtung AHS – die Rahmenbedingungen durch zusätzliche Vor- und Nachbereitungen in Form von "Talent Talks" zu optimieren.

5. Bildungs- und Berufsorientierung soll (langfristig) als eigenes Schulfach in allen Schulformen eingeführt werden – beginnend bei Volksschulen bis hin zur AHS-Oberstufe

Bildungs- und Berufsorientierung kann an den Schulen grundsätzlich als eigenes Fach (Mittelschulen) oder integrativ (AHS) erfolgen. Ein ausschließlich integrativer BBO-Unterricht weist jedoch in der Praxis zahlreiche Nachteile auf. Aufgrund dessen sollte langfristig die flächendeckende Einführung eines eigenen Unterrichtsfaches für die Bildungs- und Berufsorientierung angedacht werden. Im elementarpädagogischen Bereich könnte mit spielerischen Angeboten noch sehr viel erreicht werden – Rollenstereotypen könnte entgegengewirkt und sozialökonomische Benachteiligungen könnten ausgeglichen werden. Hier gilt: Je älter die Kinder und Jugendlichen, desto schwieriger.

Auf Basis der Ergebnisse der Studie – insbesondere in Bezug auf die notwendige Nachbereitung von BBO-Maßnahmen – sollen künftig alle Jugendlichen ein individuelles Zukunftsgespräch mit BBO-Expertinnen und -Experten in der Schule erhalten! Das international ausgezeichnete Talentcenter der WKO Steiermark ermöglich jährlich mehr als 7.000 Jugendlichen einen Talentcheck. Der eigene Ergebnisbericht, der Talentreport, gibt nicht nur Aufschluss über die Fähigkeiten und Stärken der Schülerinnen und Schüler, sondern bietet auch konkrete Berufsvorschläge, die zu den individuellen Talenten der Teilnehmer passen. Um die Vielzahl an Informationen verarbeiten zu können und einen Überblick über die Berufsorientierungslandschaft zu erhalten, brauchen die Jugendlichen jedoch weitere Unterstützung. In einem individuellen Beratungsgespräch mit geschultem Fachpersonal können der Talentreport aufgearbeitet und mögliche konkrete Ausbildungswege gemeinsam erarbeitet werden. Darüber hinaus ist eine individuelle Beratung insbesondere auch für jene Schüler unerlässlich, die aus verschiedenen Gründen (noch) nicht am Talentcheck teilnehmen können und daher keinen Report erhalten. Ziel muss es sein, dass alle Jugendlichen in der Steiermark ein individuelles Zukunftsgespräch mit BBO-Experten in der Schule erhalten. Das Talentcenter eignet sich hier nicht nur wegen des wissenschaftlichen Reports als zentrale Koordinierungsstelle der "Talent Talks": Auch, weil sie durch den täglichen Talentcheck für bis zu 48 Jugendliche pro Tag bereits im täglichen Austausch mit den BBO-Lehrenden stehen.

Auch die Bildungsberatung der Arbeiterkammer Steiermark unterstützt während der gesamten Schullaufbahn und darüber hinaus. Damit versucht das Beratungsteam eine bewusste und selbstbestimmte Bildungsentscheidung und ressourcenorientierte Ausbildungsplanung unter Berücksichtigung zukünftiger Chancen und Perspektiven zu ermöglichen. Im Mittelpunkt der Bildungsberatung stehen die ratsuchenden Jugendlichen mit ihren persönlichen Interessen, Fähigkeiten, Begabungen, Wünschen und Vorstellungen. Die AK-Bildungsberatung bietet neben Interessentests mit Einzel- oder Gruppenberatungen auch E-Mail- und telefonische Beratungen zu Schullaufbahn, Studienwahl oder 2. Bildungsweg an. Zudem umfasst das AK-Angebot schnittstellenübergreifende BBO-Vorträge und Workshops sowie die BO-Mappe. Mit den Vorträgen und Workshops erreicht die AK-Bildungsberatung circa 6.000 Schüler im Jahr. Das Team der AK-Bildungsberatung ist ebenfalls im Talentreport geschult und berät gerne, wenn Fragen entstehen.

Das sagen AK und WKO zur Studie

Josef Herk, Präsident WKO Steiermark: "Gut qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind der wichtigste Bodenschatz unseres Landes und für den Erfolg des Standorts entscheidend. Durch den demographischen Wandel wird dieser Bodenschatz aber immer knapper. Aus diesem Grund müssen wir alle Hebel in Bewegung setzen, um junge Talente best-möglich zu fördern. Denn der Weg zur richtigen Ausbildung ist oftmals nicht so leicht, wie die hohen Drop-out-Quoten schmerzlich vor Augen führen: Drei von zehn AHS-Schülern und vier von zehn in den BHS brechen die Schule ab oder wechseln den Schultyp. Als WKO haben wir darum das Talentcenter ins Leben gerufen, das bereits von über 7.000 steirischen Schülern jedes Jahr genutzt wird. Dieses Angebot müssen wir in einem gemeinsamen Kraftakt noch weiter ausbauen, wie die vorliegenden Studienergebnisse zeigen."

Josef Pesserl, Präsident AK Steiermark: "Das differenzierte und sich ständig erweiternde Bildungsangebot sowie tiefgreifende Veränderungen in der Arbeits- und Berufswelt verstärken das Bedürfnis nach Information, Orientierungshilfe und Beratung – gerade bei Jugendlichen und auch ihren Eltern. Zudem zeigt die neueste Lehrkräfte-Befragung des öbv Verlages, dass eine Trennung der Kinder im Alter von zehn Jahren schlichtweg zu früh ist. Wir benötigen dringend eine Reform des Überganges nach der Volksschule, mehr Zeit für gemeinsamen Unterricht und individuelle Förderung. Diese Schnittstelle bzw. Trennung - Mittelschule oder Gymnasium – kann über das ganze Leben des Kindes und dadurch auch über die Lebenskarriere entscheiden. Beratung kann natürlich auch an dieser Schnittstelle helfen, allerdings wäre eine Änderung des Systems zielführender.
Die Bildungsberatung der Arbeiterkammer Steiermark bietet neutrale, schnittstellenübergreifende Bildungsberatung vom Elementarbereich bis zum tertiären Bildungssektor mit dem Ziel allen Lehrlingen, Schülerinnen und Schülern, Studierenden und Erwachsenen die beste Beratung bieten zu können. Mit unseren Vorträgen, Workshops und Beratungen im Bereich der Bildung erreichen wir rund 9.000 Personen, davon circa 6.000 Schülerinnen und Schüler. Persönliche, qualitätsvolle Beratung ist der Schlüssel und das sinnvollste Lösungsangebot im Bereich der Bildungs- und Berufsorientierung, deshalb ist es uns so ein großes Anliegen Jugendliche und junge Erwachsene damit gut auf ihrem Weg begleiten zu können."

Die gesamte Studie finden Sie hier als Download.

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Leitung Marcel Pollauf